Walter Weer
Interview mit Walter Weer
Frage:
Können Sie sich an den Punkt in Ihrem Leben erinnern, der Sie dazu bewogen hat, sich aktiv mit bildender Kunst zu beschäftigen?
Weer:
Zunächst habe ich etwas ganz anderes studiert und auch abgeschlossen. Erst im Berufsleben stehend, von einem Tag auf den anderen, habe ich gesagt: Ich muss bildende Kunst ausüben. Ich war so davon überzeugt, das machen zu wollen, dass ich mit Arbeiten zu einem Professor an der Akademie gegangen bin. Das Arbeiten mit ihm war ganz schön, aber es war der falsche Professor. Ich habe mich im Widerspruch zu ihm entwickelt, was ja gar nicht so schlecht ist. Ich wollte eigentlich erst einmal wirklich handwerklich etwas lernen. Ich denke, über diesen „Umweg“ lernt man erst, was Kunst ausmacht, aber es ist klar, dass man das selber erfahren muss.
Nachdem ich mit diesem Professor nicht so gut arbeiten konnte, habe ich festgestellt, ich kann meine Arbeiten nicht fertig machen. Weil, so wie er es wollte, so habe ich es mir nicht vorgestellt – Fantastischer Realismus: das war für mich ganz unerträglich und dann habe ich viele Stellen freigelassen und so entdeckt, dass das Fragmentarische das ist, was mich eigentlich interessiert.
Frage:
Wie entstehen Ihre Arbeiten? War zunächst der Gedanke da, mit dem Fragment zu arbeiten, oder waren Sie eher am gefundenen Objekt interessiert?
Weer:
Das Gefundene war’s gar nicht so. Ich habe zunächst Zeichnungen gemacht. Das kann man auch konkretisieren, es waren Menschen im Wasser – schwimmend, und die waren auf einer großen leeren Wasseroberfläche ausgesetzt. Das hat die Leute sehr interessiert, nachdem sich alle irgendwo ausgesetzt fühlen und sich da selbst erkannt haben. Diese erste Ausstellung war vollkommen ausverkauft, das hat die Leute also wirklich interessiert. Ich habe ein paar Mal solche Dinge gemacht – aber dann habe ich einmal den Menschen weggelassen und bin nur über diese Oberflächenstrukturen des Wassers zum Papier gekommen. Ich habe Transparentpapier übereinander geklebt und so sind dann die ersten Objekte entstanden.
Frage:
Wie muss man sich den künstlerischen Prozess bei Ihnen vorstellen?
Weer:
Eine Idee ist schon zuerst da – das ist klar. Aber die Ideen werden genauso gesammelt, wie ich das Material sammle, und wenn ich dann die Idee realisieren möchte, dann suche ich mir das passende Material. Das entwickelt sich meist nebeneinander und geht ineinander über. Das ergibt sich ganz einfach, daher habe ich ja so eine große Sammlung von Material, von Neuem und Gebrauchtem, und daraus entsteht dann etwas. Ich setzte das Material sozusagen um.
Frage:
Wann wissen Sie, dass ein Objekt fertig ist, dass es so bleiben soll?
Weer:
Es gibt natürlich immer Zwischenstadien. Am Anfang ist das oft schwierig, wenn man schon in einem Stadium ist, wo man sagt, das ist jetzt gut, aber es ist nicht der Punkt, wo man eigentlich hin wollte. Da ist die Gefahr dann groß, dass man es, wenn man es nicht weiter verfolgt, lässt. Aber da muss man entscheiden: Lasse ich es, weil es ästhetisch interessant ist, oder führe ich den Grundgedanken weiter. Dann verändere ich es wieder und es kommt ins nächste Stadium, solange, bis es dort ist, wo ich es haben will. Und das merke ich dann schon – vielleicht noch ein paar Kleinigkeiten und dann ist es aber fertig.
Frage:
Der Grundgedanke, von dem Sie sprechen, ist also ein roter Faden, der sich durch Ihre Arbeit zieht – wie würden Sie ihn beschreiben?
Weer:
Es ist so, für die einzelne Arbeit ist es ein Grundgedanke und für meine Gesamtarbeit ist es so, dass ich mir vorkomme wie in einem Zentrum und die Dinge, die mich interessieren, sind kugelförmig um mich herum. Ich orientiere mich dann in diesem Raum, verfolge mal das Eine und komme so zum Nächsten. Es kann sein, dass ich einmal eine Sache bearbeite und dann wieder etwas aufgreife, das ich vor drei Jahren liegen gelassen habe. Das hat sich damals bis zu einem gewissen Grad erschöpft und dann plötzlich wird es wieder interessant und verbindet sich mit neuen Möglichkeiten. Es ist nicht so, dass ich wie andere Künstler einen Weg ununterbrochen weiter gehe, sondern ich mache immer wieder gerne Umwege und Seitenwege. Das ist natürlich viel interessanter für mich, ich lerne immer wieder so viel Neues kennen und experimentiere sehr viel.
Frage:
Immer wieder kommen Reusen in Ihren Arbeiten vor; weil Sie der ästhetische Wert reizt, oder wegen des Inhaltes?
Weer:
Ich würde nie etwas machen, nur weil es ästhetisch interessant ist. Die Reuse ist ja als spezielle Form des Netzes etwas, das immer spannend ist. Es besitzt Offenheit und Transparenz und meint gleichzeitig etwas, das Freiheit vortäuscht, aber auch das Gegenteil ist, nämlich einengend und festhaltend. Diese Ambivalenz ist ein Grundgefühl, das ich in allen meinen Netz -Arbeiten auslebe und durchlebe.
Frage:
Wozu soll Ihre Kunst da sein?
Weer:
Es geht bei jedem Künstler auch darum, sich selber auszudrücken. Mir geht es aber auch darum, die Menschen dazu zu bringen, die Dinge zu hinterfragen. Es geht ja nicht darum, dass man die Dinge so akzeptiert, wie man sie in den Nachrichten hört, ohne dass man sich einen Gedanken dazu macht. Wenn meine Kunst dazu beiträgt, dass sich Menschen eigene Gedanken machen können, dann wird ihr Blick geschärft und dann kann man auch Details erkennen. Wenn man meine Arbeiten von der Ferne sieht, fühlt man sich vielleicht hinters Licht geführt, weil wenn man näher kommt, erkennt man, dass es sich um ein ganz anderes Material handelt, als man dachte. Der konstruktive Skeptiker ist mir sehr sympathisch.
(Sandra Maierhofer, 2006)
W A L T E R W E E R
B E T W E E N 0 A N D 1 / S C U L P T U R E
Basel 2009
WHEN FORMATION and decay, construction and deconstruction clash, this is often a drastic process in
today's feel-good and high-gloss society. Nothing can arouse such a feeling of bleakness and desolate
chaos as a glance behind the façade of luxurious health-and-beauty temples and glossy gourmet
restaurants, nothing is more deflating than the flimsy inner life, made on the cheap, of an electrical
device packaged in the latest design. And fruit, overblown to bursting point for the market, oversized,
overgrown roses, their beauty already bearing within it their rapid decay, manifest how the fault line
between rise and fall can split wide open. This is the point of departure for Walter Weer with his
objects of string, cardboard and paper. When the artist works on a box, he destroys its original function
by cutting it up so that only the skeleton of the box is left. With each act of formal dissolution he
constructs a new object, which, cloaked in the guise of an "art object", leads an existence divested
of all obligation. The transition from 0 to 1 precisely targets the very state that hovers between
formation and decay, which is only optimal if something was "set right" by the formed object; the
something that causes the inner isolation of a contemporary society oriented on a superficially
perfect world of appearances. Weer's rectangular string things forming fictional boxes, glued with
shreds of paper and coated over with plaster of Paris delineate this approach: torn, shredded paper
as a major element of everyday detritus is infused by means of the imagination with enduring life.
Walter Weer is a collector with the instinct partly of a detective. For decades, he has been
collecting string and threads of natural fibre, cardboard boxes and various kinds of paper, also wood,
wire, metal and plastic. For collecting and hoarding are integrated, creative acts involved in producing
works of art and take their place at the start of the work process.
These are only seemingly "simple" materials, yet multiple stories germinate within each
piece: firstly, the frequently complicated story of acquisition, then, behind this, the great abundance
of potential and actual stories entwining themselves as such around the strings and boxes. Common
to both is the fact that they are useful carriers of human possessions or even of human beings
themselves, without which the transport – including shipping (ropes, hawsers, rigging, etc...) – of all
sorts of goods would not be possible. Suddenly the compiled materials are endowed with great, seminal
density and an enigmatic quality, which allow everything we could do with them to adhere to them,
like maginary stories. This is the secret of the poetry expressed by Weer's sculptural objects: it is immanent
in the material and, because of this very detachment from function and the new context the
boxes, paper and string are placed in, opens up far-reaching scope for associative thought. This "sets
right" the void, flatness and lack of imagination, indeed lack of life in today's consumer
products, which in their sophistication and their artificial, ideal form deprive the human imagination
of its nourishing soil.
SONJA TRAAR
WA L T E R W E E R
B E T W E E N 0 A N D 1
In the course of time, the artist has developed various forms that transcend the shape of the box per
se; for instance, the creels he started making in the early 1990s, hanging freely in space alienated
from their function, often dipped in plaster. Likewise, the artist creates wheel shapes from sliced cardboard
tubes. Also part of his repertoire are the cardboard strips falling down cascade-like, or the roll
pictures – large-scale watercolour roll paintings scrolled down from above. Then there are the strips
of cardboard and knotted string linked together to form a chain. The artist also uses paint (mostly
black, white and red tones), subtly supplementing and completing the created forms. Moreover, the
colour emphasises the aesthetic properties of the objects. Colouration introduces a further stage of
setting things right; the object is now clearly defined as an art object and, having at last attained this
level, is recalled: to the origins of artistic composition, painting and drawing. "My objects are like drawings
in space", says the artist. In this way the act of conquering and creating space, starting out from
the plane, is given a new quality by Weer's works.
In his latest works, Walter Weer subjects power and victory symbols to a critical process of
reconfiguration. Conceived as large-scale objects, they consist of wooden rods and ladders clad in
paper. Out of these the artist builds, for example, a "triumphal arch": the paper hangs down in shreds
and seems to be the only thing to have survived time's vicissitudes – an allusion to preserved documentation
and tradition. The idea of the "Arc de Triomphe" is thus taken ad absurdum. In another large
object, paper-clad ladders are dovetailed into each other; the entire construction seems about to
collapse any minute – the ephemerality of civilisations and world pictures becomes palpable.
Two concepts in the context of Walter Weer's works seem to lend themselves to a detailed description:
Lightness and Space.
The artist himself frequently talks of aspiring to a kind of lightness in his works, a state of breathing
and hovering. This is first and foremost arrived at by successively voiding superfluous material,
whereby the "superfluous" is eliminated as gloom, stuffiness and construction. Divested of their function
by their hovering state, they also throw off the ballast of being bound to function. Despite this, as soon
as they hang hovering on the wall, the objects fall into a newer associative thicket and are thus only
seemingly unloaded: the thicket, the undergrowth of the quest for meaning, of the multiple
one-way streets of thought and of ideas burdened with associations. Also the essence of the objects,
completely devoid of symbolism, and their immutability and finality shift them into a proximity to
death. This is the price the lightness in Walter Weer's works has to pay, for only through their
pendant are they controlled, held together and simultaneously freed as if by astronomic influences.
The space that Weer's works take up seems defined by three sequences of movement: stillness,
flow and concentric circles. The volume of the original material, as with the cut-up and painted boxes,
wheels or creels, remains at once preserved and stripped naked. The space thus created is
already prescribed by the object itself and is lovingly held together by strings and box skeleton.
Interior and exterior space are separated. Then again, objects such as roll papers and cardboard strips
dropping like window blinds, split the space wide open and describe an undulating flow of energy
which runs from above to below and vice versa. Taken all together, the objects describe a circular
spatial movement which revolves around a spherical centre. The centre is where the artist is situated.
He defines smaller and larger exteriors round about him, like a net spun around a middle point. Thus
in every exhibition of Walter Weer's works we get the immediate impression of an imaginary, existing
centrepoint, around which all the sculptural objects are meticulously arranged.
The threads picked up time and again by Walter Weer are threads of a universe. Collected
over many years, left to lie, maturing in significance and picked up once more, integrated into the work
machinery and guided to their purpose: just like life and all its actions.
Paradoxically, the spaces that are created seem crystalline: transparently shimmering and precise;
wrought of shredded paper , thick traces of colour, string, rope and bits of cardboard.
Mag. Sonja Traar is curator of The Essl Collection